Manische Depression – der ehrliche Bericht einer Frau

Sabines Kolumne – Sie schreibt ehrlich, sie schreibt direkt, sie schreibt klar. Sabine Ganowiak erzählt in ihrer Kolumne ganz offen von ihrer Krankheit, ihren Erlebnissen und ihren Gefühlen. Wir sind froh, dass sie uns ihre Geschichte erzählt und stellen Ihnen den ersten Teil Ihrer Kolumne vor.

Manisch-Depressiv: Ich bin meiner Erkrankung (inzwischen) dankbar

Wie soll ich beginnen? Mein Name ist xxxxxx, ich bin xxxx Jahre alt und ich bin manisch-depressiv? Eine solche Vorstellung verbinde ich immer mit der Einleitung eines Vorstellungsgespräches bei den Anonymen Alkoholikern. Ob es dort wirklich so gehandhabt wird ist mir unbekannt, denn ich war nie bei einem solchen Treffen.

Ja, ich leide an einer Bipolaren Störung. Im Allgemeinen als manisch depressiv bekannt. Und noch bekannter als „ Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“. Stimmungsschwankungen, die ein geregeltes Leben erschweren.

Ja, ich bin eine von ihnen.

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Wie kann ich einer Erkrankung dankbar sein, die

  • mich belastet hat?

  • immer noch belastet?

  • oft zerreißt?

  • meine Arbeitskraft brutal dezimiert hat?

  • mich stigmatisiert?

  • zu einer Medikamenteneinnahme führt, bei der mir die langfristigen Folgen unbekannt sind?

  • auf Unverständnis stößt?

  • die ich hätte vererben können?

  • die mich in sehr destruktive Phasen geführt hat?

  • die mich fast in den Suizid getrieben hat?

Nein, bis vor 10 Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich an einer psychischen Erkrankung leide. Anzeichen, die es gab, habe ich ignoriert. Als Frau, die immer dachte und handelte „Da muss ich durch“ kam es mir nie in den Sinn, dass es Ursachen dafür gibt, dass ich so war, wie ich war.

Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, dass mein Verhalten auf der Abschlussfahrt der Oberstufe in Prag etwas anderes gewesen wäre, als gut drauf zu sein. Oder extrem gut drauf zu sein. Verwundert war ich damals, als ich in der Stadt ständig von männlichen Pragern angesprochen wurde, die mir eindeutige Angebote machten. Mein Klassenlehrer bemerkte es, in einem seiner nüchternen Momente, und sprach mich darauf an. Ich konnte ihm keine Erklärung geben. Er schon: Schaue Dir Deine Augen an und jeder sieht, was Du willst.

Heute weiß ich, dass meine Augen in manischen Phasen nur so funkeln, eine Anziehungskraft haben, die mir nicht bewusst ist. Wenn das „Sparkling in the eyes“ wieder vorhanden ist, dann ist „die Kacke am Dampfen“, sprich ich befinde mich in einer manischen Phase.

Die Augen verraten es bei mir, natürlich auch mein Verhalten. In Prag bin ich, nüchtern, mit Champagnerflaschen für meine Begleitung in den Armen, über die Hoteldächer geklettert. Keine Angst vor der Tiefe, stattdessen von einem Dach über das nächste gesprungen. Spaß hat es gemacht und leise war es auch nicht. Als es zu langweilig wurde, bin ich mit meiner Begleitung einfach durch das nächste Hotelfenster wieder abgestiegen.

In einer manischen Phase habe ich kein Gefühl für Gefahr. Bungee springen ohne Seil erscheint möglich. Tatsächlich wollte ich es in den 90er Jahren auf der Rhein-Knie-Brücke in Düsseldorf auch machen. Wäre nicht eine Polizeistreife gekommen, ich glaube, ich würde heute nicht hier sitzen und schreiben. Stattdessen rannte ich davon und einen Tag später verlor die Idee auch schon ihren Reiz.

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Ein anderes Symptom ist, dass ich in solchen Phasen einfach nicht müde werde. Ich kann mich erinnern, wie ich nach anstrengenden Doppelschichten in der Gastronomie sehr lange joggen ging. Joggte bis ich mich übergab, aber müde war ich immer noch nicht.
Ganze Nächte verbrachte ich an den Rheinwiesen, schaute stundenlang auf´s Wasser. Aber es beruhigte mich nicht. Mit der fehlenden Müdigkeit geht eine Unruhe einher, die nicht zu steuern ist. Auf Bahnhöfen. Flughäfen, in Kneipen, am Rhein – dort verbrachte ich meine Nächte. Ich konnte nicht alleine sein, benötigte Menschen und Unruhe um mich herum.

Das waren dann die „stillen“ Momente.

Die „lauten“ waren die, in denen ich in den Kneipen/Clubs schnell Gesellschaft fand. Auch wenn man nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht, so bin ich in einer manischen Phase charismatisch. Mir entkommt Mann irgendwie nicht. Rock, tiefer Ausschnitt und das Ergebnis war meist das gleiche: Ein Hotelbett in der Nähe der Kö. In dieser Phase geschieht es meist, ohne dass es geplant ist.

Darüber wird gerne vergessen, dass diese manischen Phasen äußerst anstrengend sind. Letztens blätterte ich in älteren Tagebucheinträgen aus den 90ern. Ich habe gespürt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Diese Unruhe, dieses nicht schlafen können, dieser Männerverschleiß, das Gedankenkarussell – ich wurde schier wahnsinnig. Gleichzeitig genoss ich die Energie die ich hatte. Paradox.

In einer dieser Phasen ging ich zu einer Ärztin und sagte nur, dass ich nicht schlafen kann. Nach einigen Fragen ihrerseits, meiner Schilderung der schlaflosen Nächte am Rhein, nahm sie mich an die Hand und führte mich zur Praxis nebenan. Ihr Mann war Psychologe. Natürlich betrat ich seine Praxis nicht. Ihre Praxis ebenfalls nicht mehr.

Mir kam nicht ansatzweise in den Sinn, dass an meinem Verhalten etwas nicht „normal“ war. Ich war halt ein wenig überdreht. Auch als ich mit meinem Auto in der Düsseldorfer Altstadt eine Kreuzung blockierte, das Radio aufdrehte, die Songs (mit einer Coladose in der Hand) laut mitsang und auf dem Auto stand: Ich fand das nicht schlimm. Ich war gut drauf.

Die gerufene Polizei sah das nicht so.

Erfahren Sie wie es weiter geht, demnächst im zweiten Teil von „Manische Depression – Der ehrliche Bericht einer Frau“

3 Comment

  1. Hallo Sabine,
    Dein Bericht ist faszinierend. Ich wäre niemals darauf gekommen, dass Du eine bipolare Störung hast. Auch wenn ich – wie Du vielleicht noch weißt – mit einem bipolaren Mann verheiratet war und es vielleicht hätte ahnen können, im Nachhinein. Beim Lesen Deines Berichtes fiel es mir allerdings wie Schuppen von den Augen. Und ich dachte damals, Du seist „nur“ Bungee-süchtig bzw. ein Adrenalin-Junkie… Im Nachhinein kann ich Einiges nun besser einordnen. Komischerweise kann ich mich an depressive Episoden nicht erinnern, nur an einen einzigen Ausspruch, den Du mal gemacht hast… Ist aber auch Alles schon sooo lange her…
    Ganz liebe Grüße und alles Gute für Dich!
    Wilma
    P.S.: Wenn Du magst, melde Dich gerne mal, würde mich sehr freuen!

  2. Liebe Wilma,

    schade, dass ich erst JETZT Deinen Kommentar lese! Meine Emailadresse habe ich hinterlegt, bitte schreibe mich doch an. Oder rufe bei meinem Vater an und hinterlasse Deine Telefonnummer oder Email. Bin auch unter dem Namen in Facebook vertreten.

    Liebe Grüße Sabine

    • HI Sabine,
      dies als Test, wird diese Antwort veröffentlicht? Nich dass meine email-Adresse doch noch öffentlich wird, wenn ich sie hier rein schreibe…
      Weißt Du noch, dass wir uns eine Zeit lang Briefe geschrieben haben? Sind mir neulich wieder in die Hände gefallen. Echt total gut!
      Bis später, liebe Grüße
      Wilma

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