Zu Unrecht schweigt man nicht – Evelyn Hecht-Galinski im Gespräch

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Foto-Lösche Müllheim/Baden

Sie ist stark, engagiert und eine echte Kämpferin: Evelyn Hecht-Galinski. Sie ist die Tochter des damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski. Einer der bekanntesten Aussprüche und das Lebensmotto ihres Vater war: „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen“. Diesen wichtigen und aussagekräftigen Satz hat sie von ihrem Vater übernommen und führt seinen Kampf stark und unerbittlich weiter. Dieser starken Frau liegt wahnsinnig viel an der Wahrheit. Unrecht kann sie nicht ertragen. Noch weniger kann sie zu Unrecht schweigen. Denn zu Unrecht gehört es sich nicht zu schweigen. Evelyn Hecht-Galinski ist jüdischer Abstammung und setzt sich dennoch für die Rechte Palästinas ein. Heute gewährt sie uns einen Einblick in den Palästina Konflikt und beantwortet unserer Redaktion Fragen, die wir uns schon lange stellen. Was ist wirklich in Palästina los und warum dürfen wir keine Kritik an den Machenschaften Israels äußern? Diese und andere Fragen im Gespräch mit Evelyn Hecht-Galinksi:

 

Frau Hecht-Galinski, unser Magazin heißt starke Frau und für uns sind Sie eine starke Frau! Sie trauen sich zu sagen, was Sie denken und kämpfen bewusst gegen Unrecht an. Wie sind Sie zu dieser Stärke gekommen?

Ich habe immer schon einen Faible für starke Frauen gehabt.Deshalb gefällt mir Ihr Magazin Name auch und macht mich neugierig. Aber Spaß beiseite. Durch meine sehr politische Erziehung und Kindheit und Jugend in Berlin, geprägt von den 68ern und der schrecklichen Springer-Presse, konnte mein Interesse eigentlich nur in diese Richtung gehen. Feigheit und Schweigen sind mir ein Gräuel und aus diesem Grund möchte ich dazu beitragen, dass gerade in Deutschland weniger geschwiegen wird.

Sie sind Jüdin und üben Kritik an Israel. Passt das zusammen und vor allem, darf das in Ihren
Augen zusammen passen?

Ich bin deutsche Staatsbürgerin, jüdischer Abstammung. Judentum ist für mich eine Religionsgemeinschaft und kein Volk, da bin ich mit Schlomo Sand völlig einig. Ich halte es für gefährlich in der Diaspora zu leben und sich ständig quasi als israelischer Staatsbürger aufzuführen. Ich halte es auch für verwerflich wenn sich jüdische Funktionäre ständig mit dem „Jüdischen Staat“ solidarisieren und als dessen Regierungssprecher fungieren. Allerdings ist es inzwischen zu einer gefährlichen Symbiose gekommen, nämlich zwischen dem „Jüdischen Staat“= Judentum und damit jede Kritik als „Judenhass“  diffamieren zu können. Also als Steigerung des Wortes Antisemitismus, der durch die inflationäre Entwertung des Begriffs durch die „Israel-Lobby“ nicht mehr die Wirkung hat, die er  ursprünglich hatte. Deshalb ist es mir ein Anliegen auf diesen Tatbestand hinzuweisen und darüber aufzuklären, dass Kritik an dem „Jüdischen Staat“, auch und gerade auch für jüdische Bürger zur Normalität wird! Aber das ist noch ein langer Weg!

Kritik sollte jeder Mensch frei äußern können. Geht es darum, Israels Methoden anzuzweifeln oder zu verurteilen, zieht man schnell den Zorn auf sich.
Wie kommt es Ihrer Meinung nach, dass man alles und jeden kritisieren darf, nur nicht Israel?

Dieser Tatbestand wird ja immer mit dem Hinweis auf den Holocaust begründet, aber ich behaupte gerade das Gegenteil ist richtig, der Holocaust verpflichtet dazu sich gegen JEDES Unrecht zu äußern und es anzuprangern, egal wer es begeht. Auch deshalb habe ich mir den Spruch und das Lebensmotto meines Vaters, Heinz Galinski zu Eigen gemacht: „Ich habe Auschwitz nicht überlebt um zu neuem Unrecht zu schweigen“.
In diesem Zusammenhang ist es auch besonders verlogen, wenn bei den Gedenkfeiern in KZ`s, oder anderen Gelegenheiten immer auf das nie wieder hingewiesen wird, aber das Unrecht der Besatzung und der Unterdrückung durch den „Jüdischen Staat“ in Palästina vergessen wird. Auch der Umgang der jüdischen Besatzer gegen Minderheiten und Asylsuchende Flüchtlinge entspricht nicht dem, was eigentlich von Menschen, die so schreckliche Verfolgung erlebt haben ausgehen sollte. Besonders übel wird es allerdings, wenn jüdische Politiker und Funktionäre mit der „Holocaust-Instrumentalisierung“ Politik machen, um damit von eigenen Verbrechen abzulenken. Dagegen wehre ich mich.
Dazu möchte ich auch aus einem Brief an mich von Günter Grass zitieren, der mir als Dank für meinen Zuspruch, der ihm, wie er schrieb „gutgetan“ hatte und der mir u.A. folgendes schrieb:“ Während ich ihr Buch „Das elfte Gebot, Israel darf alles“ las, kam es mir oft vor, als spreche aus Ihnen zugleich Ihr Vater, mutig und unbeirrbar im nie enden Kampf um Gerechtigkeit“.
Als mir Günter Grass diese Zeilen schrieb, da fühlte ich mich bestätigt und stolz, unbeirrbar und unbequem wie meine Vorbilder, auf dem richtigen Weg zu sein!

Sie betreiben ihren Blog „Sicht vom Hochblauen“ jetzt schon eine ganze Zeit. Wie reagieren die Menschen auf Ihre offene Israel-Kritik? 

Ja, seit einem Jahr, nach langem Zögern entschloss ich mich, auf Bitten vieler Freunde und Mitstreiter dazu diesen Blog zu betreiben. Dieser Blog schlug so gut ein, dass ich überwältigt war von dem Zuspruch und Erfolg. Hier möchte ich auch meinem „Webmaster“ danken, der für mich Stütze und Hilfe im betreiben dieses Blogs ist. Ohne ihn, wäre es mir nicht möglich gewesen, alle meine Ideen so umzusetzen. Wir sind ein wunderbares Team!
Übrigens schreibe ich auch meine wöchentlichen Kommentare seit 5 Jahren für die NRHZ, eine Online Zeitung, der ich  mich sehr verbunden fühle und die mir im September vorigen Jahren den „Karls-Preis  in Köln verlieh. Deren Chefredakteur Peter Kleinert, ein wunderbarer Journalist,  war mir immer ein wertvoller, solidarischer Freund!
Das bestärkt mich in meiner Arbeit!

Ich bin Deutsche und traue mich selbst kaum, etwas gegen Israel zu sagen, auch wenn ich die
Machenschaften stark verurteile. In Deutschland leben wir mit einer Schuld, einer Last, für
die wir eigentlich nichts können. Wir sollen uns schämen und werden für jenes Verbrechen 
verurteilt, an dem wir nicht beteiligt waren. Wir müssen alles akzeptieren, was mit Israel zu tun hat.
Macht sich aber Israel nicht auch schuldig? Verübt es nicht ähnlich schreckliche Verbrechen
jetzt an den Palästinensern? Wieso wird Ihrer Meinung nach mit zweierlei Maß gemessen?

Ja, wie ich schon sagte, keine Doppelstandards für Verbrechen und gerade als Deutsche sind wir verpflichtet den Mund auf zumachen und nicht zu schweigen bei Völkerrechtsverbrechen und Kriegsverbrechen, eben auch wenn sie vom „Jüdischen Staat“ begangen werden. Denn gerade wir Deutsche haben auch eine Verpflichtung gegenüber den Palästinensern, als auch Leidtragende des Holocaust.

Man kann pro Israel sein, aber nicht pro Palästina. Denn wenn man pro Palästina ist, wird
man automatisch für viele zum Antisemiten. Können wir etwas tun oder was müssen wir verändern, um
uns für Gerechtigkeit einsetzen zu können ohne verurteilt zu werden?

Ein falsches Denken, denn für ein Ende der Besatzung zu sein, heißt nicht antisemitisch zu sein, davon muss man sich endlich befreien. Ich bin für ein freies Palästina für alle seine Bürger, Ethnien und Religionen. Wir müssen dieses Denken verändern, dass Kritik am „Jüdischen Staat“= Antisemitismus ist. Pro Palästina ist doch nur , Pro Gerechtigkeit. Allerdings ist eine neue Gefahr in Deutschland, nämlich Philosemitismus, die übersteigerte „Judenliebe“, die eine ebenso schlimme Entgleisung ist wie Antisemitismus.

Es gibt in Deutschland viele Bürger, die Augen und Ohren verschließen und zu den
Verbrechen schweigen. Verschließen die Menschen bewusst die Augen oder wird einfach so einseitig berichtet, dass sie die Wahrheit nicht erkennen können?

Dem versuche ich entgegenzutreten, aufzuklären und mit Fakten dagegen zu arbeiten. Die Berichte sind in der Tat meistens mehr als einseitig, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen. Ich betone allerdings immer wieder es gibt „kein einseitig“, sondern nur „wahrhaftig“! Aber in den vielen Jahren meiner Arbeit kann ich schon auf viele Erfolge zurückblicken.

Kurz und knapp ausgedrückt: Die Juden möchten nicht mehr vertrieben werden und bauen
sich ihr eigenes Land auf. Palästina gewährt den Juden das Anrecht auf ihr Land nicht und 
deshalb gibt es Krieg. So bekommen es leider noch viele Kinder in der Schule beigebracht.
Wie sieht die Lage tatsächlich in Palästina aus und welches Ziel verfolgt Israel wirklich?

Da kann ich immer nur auf das Buch meines Freundes und großen Vorbilds Ilan Pappe, dem israelischen Historiker und Sohn von deutschen Holocaustüberlebenden verweisen, „Die Ethnische Säuberung Palästinas“. Darin wird detailliert auf die Vertreibung der Palästinenser durch die jüdischen Zionisten bei Staatsgründung 1948 verwiesen und bewiesen, dass es nicht die Juden waren, die ins Wassergetrieben und vertrieben wurden, sondern die Palästinenser durch die Juden! Ach ja, die Schulbücher klammern diese Thema aus, in Deutschland, wie in Israel, dass passt nicht zu den den Mythen der Staatsgründung und zu den gemeinsamen Beziehungen! Es gibt nur ein Ziel das der „Jüdische Staat“ betreibt, er will „alles“, er betreibt die ethnische Säuberung Palästinas und die „Judaisierung“ von Jerusalem.
Wer heute noch von einem Friedensprozess spricht, der ist ein Traumtänzer, Israel will alles nur keinen Frieden!

Wenn Sie den Menschen in ein paar Sätzen die Situation in Gaza erklären müssten, wie
würden Sie ihnen die Lage beschreiben?
Als ein Inferno der schlimmsten Art. Ein Konzentrationslager, ein Freiluftgefängnis für 1,8 Millionen eingeschlossener Menschen, hoffnungslos und den Schikanen der jüdischen Besatzern ausgesetzt. Nach dem Völkermord durch die „Jüdische Verteidigungsarmee“ im letzten Sommer ist die Lage ein unbeschreibliches Elend auf einem Trümmerhaufen. Dazu empfehle ich viele Berichte zu lesen, auch in deutschen Zeitungen.  Soeben herausgekommen, die Berichte von beteiligten IDF Soldaten, die über die gezielten Verbrechen gegen Zivilisten in Gaza anonym berichten. Schließlich hat die „Jüdische Verteidigungsarmee“ über 2200 Tote in Gaza, allein im letzten Angriff auf dem Gewissen! Viele Prominente, wie Jürgen Todenhöfer, oder EX-US Präsident Carter haben auf diese Zustände in Gaza hingewiesen. Vergessen wir Gaza nicht, so wie es unsere Regierung durch unterlassene Hilfeleistung tat. Im Gegenteil, sie ließen das Gemetztel kritiklos zu.

Sie haben das Buch „Das elfte Gebot – Israel darf alles“ geschrieben. Hatten Sie vor der
Veröffentlichung Angst vor den Reaktionen?

Nein überhaupt nicht. Ich hatte von Anfang an diesen Titel im Sinn und schaffte es in einem Buch vereint, zwei so gegensätzliche Gerechtigkeitskämpfer für Palästina, wie Ilan Pappe, Vorwort und Gilad Atzmon Nachwort zu vereinen. Ich ließ mich auch nicht durch einen Verleger beirren, der  immer wieder gegen mich agierte und inzwischen insolvent ist und mir noch Geld schuldet. Ein trauriges Kapitel!. Mein Buch wurde übrigens mehr als 5000 verkauft und war ein großer Erfolg für mich, allerdings nicht finanziell.
Ich hatte eigentlich vor die ganzen Verkaufserlöse an Palästinenser zu spenden, wie ich es immer mit allen Honoraren getan habe, da ich nichts damit verdienen möchte, im Gegensatz zu vielen anderen , leider!  Inzwischen ist das Buch in neuer Auflage in einem anderen Verlag herausgekommen.

Können  Sie Menschen, die sich einsetzen wollen, ermutigen oder muss man sich eingestehen, dass alle Versuche in diesem Fall für die Gerechtigkeit zu kämpfen wenig bringen?

Für mich gilt, jeder kleine Erfolg ist ein Erfolg, ich bin Löwin und kämpfen gewohnt!

Wie kann man sich nützlich engagieren? Sollte man Aufklärungsarbeit leisten?

Jeder sollte sich in seinem Rahmen versuchen zu engagieren und Aufklärungsarbeit zu leisten und dafür Sorge zu tragen, dass sie auch weiter gegeben wird!

Was macht eine engagierte Frau, wie Sie es sind, eigentlich in ihrer Freizeit?

Freizeit habe ich so gut wie immer, da ich nicht mehr im Berufsleben stehe. Aber mein Leben ist vor allen Dingen mein Mann, mit dem ich seit 43 Jahren verheiratet bin und mit dem ich immer beruflich, und privat verbunden war.  Meine Hund, ich war immer „Hundeverrückt“! Meine Hobbys Oper und Klassische Musik und viele Bücher. Unsere gemeinsamen Reisen, Spaziergänge und das gute Essen! Wir schätzen das gute Essen und ich koche sehr gern und ausgiebig.

Wenn Sie 3 Wünsche frei hätten, welche wären es?

Gesundheit, 2. Zufriedenheit 3. Gerechtigkeit!

Und noch eine Frage von Frau zu Frau: Sie sehen toll aus und sind so jung geblieben, haben Sie ein
Geheimrezept, das Sie unseren Leserinnen verraten können ?
Danke für das Kompliment. Ein ausgefülltes Leben, einen wundervollen Partner an seiner Seite zu wissen, also ein ausgeglichenes und glückliches Leben, mit Höhen und tiefen, aber eben immer gemeinsam. Genügend Schlaf und eine Zufriedenheit, die ich hoffe  auszustrahlen. Ein regelmäßiges Leben, niemals Zigaretten, viel Mineralwasser und Pflege. Da wir, mein Mann und ich früher einmal in der Modebranche tätig waren habe ich immer Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt. Schon mein Vater hatte sehr auf sich geachtet und mir eine Disziplin beigebracht, die ich nicht immer einhalte, aber die mir doch immer sehr geholfen hat in meinem Leben.

One Comment

  1. Sehr geehrte Frau Hecht-Galinski,
    ich würde mir eines wünschen: Bewerben Sie sich um das Amt der Bundespräsidentin! Und lesen Sie dann unseren mittlerweile in ihrem (vermeindlichen) Wohlstand erstarrten Mitbürgern die Leviten! Denn die Gefahr ist groß, daß wir eines Tages wieder in der Katastrophe enden!
    Mit herzlichen Grüßen aus Ostthüringen
    Jürgen Keller

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