von Yvonne Keßel
Wie Angst uns lähmt und weshalb wir mutige Entscheidungen treffen sollten
„Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.“ Demokrit
Warum fallen manche Entscheidungen so schwer?
Veränderungen erfordern Mut und Willenskraft, zunächst vor allem aber eine Entscheidung. Jeden Tag treffen wir unzählige davon: Rock oder Hose, Kino oder Couch, Pizza oder Pasta? Und meist fällt uns dies nicht schwer. Doch während wir uns in der Regel noch problemlos zwischen Kaffee und Tee entscheiden können, wird es bei größeren Lebensthemen schon schwieriger. Und das gilt ganz besonders für Entscheidungen, bei denen wir uns von etwas trennen, etwas loslassen müssen. Denn wir lieben die Gewohnheit und das Bekannte. Auch wenn es sich dabei um ein bekanntes Unglück handelt. Wenn wir uns täglich zur Arbeit quälen, immer wieder über die langweilige Tätigkeit oder die nervigen Kollegen jammern, mögen wir unzufrieden sein. Doch diese Unzufriedenheit ist eine gute alte Bekannte. Sie mag nicht beliebt sein, aber wir wissen, mit ihr umzugehen, sie einzuschätzen. Und das gibt uns Sicherheit. Was uns in einem neuen Job erwarten würde, wissen wir jedoch nicht. Und Unbekanntes macht uns meist Angst. Und so setzen wir uns weiterhin an fünf Tagen der Woche an diesen Arbeitsplatz, der uns doch so zuwider ist. Wir arrangieren uns. Mit dem ungeliebten Job, der unglücklichen Partnerschaft, unseren unerfüllten Sehnsüchten. „Die Niederlage des Gefühls vor dem Leben“, wie der Schriftsteller Thomas Mann es in seinem Roman „Der Zauberberg“ poetisch ausdrückt.
Große Lebensentscheidungen sollten wohlüberlegt sein, denn impulsives Handeln bereuen wir später nur allzu oft. Aber die Angst vor Neuem, die Angst, Fehler zu machen, kann so lähmend sein, dass wir gar keine Entscheidung mehr treffen. Das Leben jedoch geht weiter. Und wenn wir nicht diejenigen sind, die entscheiden, in welche Richtung, so übernimmt dies der Zufall, die Zeit oder andere Menschen. Nicht immer muss der Ort, an den uns das bringt, schlecht sein. Viel wichtiger als der Punkt, an dem wir landen, ist doch der Weg, den wir dorthin gehen. Denn wirklich zufrieden können wir nur dann sein, wenn wir diesen Weg selbstbestimmt und zu jeder Zeit in Kontakt mit uns und unserem Gefühl gegangen sind.
Spannendes Experiment mit interessantem Ergebnis
In unserer heutigen Gesellschaft, in der Wissenschaft und Rationalität als oberste Maxime gelten, ist das nicht immer leicht. Wir wägen Alternativen ab, berechnen Kosten und Nutzen, bewerten potentielle Risiken einer Entscheidung und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten. Am Ende vergessen wir dabei jedoch eines: dass unser Bauch häufig mehr weiß, als wir mit Mathematik berechnen können. In einem sozialpsychologischen Experiment ließen der Forscher Timothy Wilson und seine Kollegen Frauen als Dank für die Teilnahme an einer Untersuchung als kleines Geschenk ein Poster auswählen. Während die eine Gruppe von Untersuchungsteilnehmerinnen einfach jenes Poster auswählte, das ihnen am besten gefiel, wurde die andere Gruppe der Teilnehmerinnen darum gebeten, zunächst zu begründen, weshalb ihnen ein Poster gefiel oder nicht gefiel, bevor sie sich für eines entscheiden durften. Vier Wochen nach der Auswahl des Posters befragte man die Teilnehmerinnen, wie ihnen ihr Geschenk gefalle. Interessanterweise waren jene Frauen, die für die Auswahl des Posters Gründe genannt hatten, weniger zufrieden und bedauerten ihre Wahl häufiger als die Frauen, die keine Gründe genannt hatten. Bewusstes Abwägen und Vergegenwärtigen von Gründen kann also zu Entscheidungen führen, die uns am Ende weniger glücklich machen.
Unser Leben ist keine Gleichung mit zwei Unbekannten, bei der es die richtigen Zahlen zu finden gilt. Es birgt eine Vielzahl von Möglichkeiten. Und diese auszuschöpfen, ist unsere Aufgabe. Nicht, die vermeintlich perfekte Alternative von vielen herauszufiltern.
Ist die Zeit für neue Entscheidungen gekommen?
Die allermeisten Entscheidungen, die wir in unserem Leben treffen, sind keine endgültigen. Und das ist gut so. Denn so wie sich unser Leben verändert, können auch einst getroffene Entscheidungen, alte Gewohnheiten oder Verhaltensmuster plötzlich nicht mehr zu uns passen. Immer wieder können und sollten wir daher bewusst Bilanz ziehen und in uns hinein spüren: Bin ich noch zufrieden oder ist es an der Zeit, sich neu zu entscheiden? Ob neue Liebe oder neuer Job – sich auf etwas Neues einzulassen ist immer Risiko und Abenteuer zugleich. Und dieses einzugehen lohnt sich. Denn wenn wir stehen bleiben, zurückschrecken und der Angst oder anderen das Steuer überlassen, verlieren wir dabei vor allem eines: uns selbst.
Literatur
Wilson, T.D., & J.W. Schooler: „Thinking too much: Introspection can reduce the quality of preferences and decisions”. Journal of Personality and Social Psychology 60 (1991), S. 181-192
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