Reisen um die Welt – eine Frau, die einen ungewöhnlichen Weg im Leben eingeschlagen hat
Liebe Frau Buschmann, wir freuen uns sehr, so eine starke und ganz besondere Frau wie Sie es sind, interviewen zu dürfen.
Als Erstes käme da die Frage auf: Was hat Sie dazu bewegt, einen alles andere als gewöhnlichen Weg im Leben zu wählen? War es von Anfang an ein bewusster Entschluss oder zu Beginn doch eher nur ein gewagter Versuch?
Es war ein Entschluss, der „klein“ anfing und sich ungeplant über mehr als 20 Jahre erstreckt hat! Meine Eltern sind schon gern gereist und hatten mich als Kind überall dabei. Mit sechs Jahren bin ich mit ihnen nach Florida gezogen und dort zweisprachig in beiden Kulturkreisen aufgewachsen. Inzwischen habe ich 105 Länder bereist, in elf davon längere Zeit gelebt und hauptsächlich als ausgebildete Fremdsprachenlehrerin gearbeitet (Deutschland, USA, Spanien, Irland, Australien, Nicaragua, Bolivien, Guatemala, Trinidad & Tobago, Japan, Oman). Dass sich das Reisen so lange und intensiv durch mein Leben ziehen würde, war nicht geplant. Es ist tatsächlich einfacher, immer weiter zu machen, als aufzuhören und wieder von vorn anzufangen. Solange dein Leben in einen Rucksack passt – und vielleicht noch in ein oder zwei Kartons – bist du viel flexibler und gewillt, wieder aufzubrechen, hast du erst einmal eine schöne Wohnung, Möbel, Auto, Verträge, etc. wird es meist komplizierter.
Wie erlebt Ihr Kind diese Lebensweise und wie lässt es sich mit dem Kindergarten bzw. in Zukunft der Schule vereinbaren?
Seit der Geburt von Nicolai Anfang 2013 bin ich zurück in München. Die Prophezeiung vieler Freunde, dass nun mit Kind das Reisen erstmal vorbei sein werde, hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Nicolai hat mich in 57 Länder begleitet. Mit ihm öffnen sich mir unterwegs viele neue Türen und es ergibt sich viel persönlicher Kontakt zu Einheimischen. Mutter allein mit Kleinkind passt nicht in das typische Touristenschema und die Leute begegnen uns fast ausnahmslos wohlwollend. Alle bisherigen Erlebnisse machen uns Lust auf mehr.
Reisen erfüllt, inspiriert und motiviert mich. Umso schöner ist es, dass ich ein geerdetes, interessiertes, reisefreudiges und absolut anpassungsfähiges Kind habe, das alle Abenteuer gern mitmacht. Solange ich bei ihm bin, ist es Nicolai egal, wo wir schlafen, ob das Essen wie Zuhause schmeckt oder die Leute anders aussehen oder sprechen. Ich möchte so viel Zeit wie möglich mit meinem Kind verbringen, bei Sachen, die uns beiden Spaß machen. Es erfüllt mich mit Freude, dabei zuzusehen, wie er offen und wissbegierig durch die Welt geht. Dabei stehe ich ihm gerne zur Seite. Er sieht und erlebt andere Religionen: «Der Gott aus dem Lautsprecher» – der Muezzin, «Der Gott aus dem Kindergarten» – katholisch, «Der sitzende Gott» – Buddha. Er sieht, dass Spielzeug und ein eigenes Zimmer längst nicht überall selbstverständlich sind, und viele Menschen ganz anders leben als wir und auch einen anderen Bezug zu ihrer Umwelt (z.B. Müll) oder zu den Tieren haben. Er wächst mit Respekt und Einfühlungsvermögen auf und nimmt den anderen wertfrei als das wahr, was er ist.
Bereits mit drei Monaten nahm ich meinen Sohn mit auf seinen ersten Roadtrip nach Tschechien und seitdem war er auf jedem Kontinent außer Australien mit fast jedem erdenklichen Verkehrsmittel (Flugzeug, Hubschrauber, Fähre, Segelboot, Zug, eigener Bus, öffentlicher Bus, Motorrad, Tuktuk, Kutsche, Fahrrad, …)
Zum Glück ist Nicolai gern unterwegs und passt sich schnell jeder neuen Umgebung an. Er hat bereits die Liebe zur Fotografie entdeckt und macht mit einer alten Kamera von mir von Mal zu Mal bessere Bilder. Er wächst genau wie ich zweisprachig auf (gemeinsam sprechen wir nur Englisch). Dass Reisen mein Element ist, spürt er und entwickelt daher keine Angst vor dem Ungewohnten. Er hat schon als Baby verstanden, dass gepackte Taschen im Gang ein neues Abenteuer bedeuten. Wenn wir länger nicht unterwegs waren oder uns gemeinsam Fotobücher vergangener Reisen ansehen, kommt immer die Frage, wann es denn wieder losgeht. In unserer Münchner Wohnung nehmen wir regelmäßig Couchsurfer (www.couchsurfing.com) auf. Diese Gäste sind eine große Bereicherung für uns. Sie bringen alle etwas mit – nicht unbedingt in Form von Geschenken, sondern Zeit zum Spielen, Erzählen, Kochen, Musik machen, Malen, Zaubern. So holen wir uns auch die Welt zu uns!
Wenn wir in München sind, geht Nicolai in den Kindergarten. Dort ist es nach kurzer Zeit so, als wäre er nie weg gewesen. Mein größter Stress war vor jeder Reise: „Wie sage ich es dem Kindergarten, dass wir schon wieder wegfahren?“ Auch hier haben wir großes Glück. Der Kindergarten ist sehr offen und unterstützt unseren Lebensstil. Sie sehen, dass sich Nicolai nach jeder Rückkehr sofort wieder gut integriert. Dort hat er auch zwei enge Freunde. Ansonsten ist er es gewohnt, unter Erwachsenen zu sein. Er kann sich gut allein beschäftigen und mich auch stundenweise in Ruhe arbeiten lassen. Langweilig ist ihm fast nie. Wenn wir unterwegs sind, freut er sich auch wieder auf Zuhause, seine Freunde, seinen Opa und seine Sachen.
Im September 2019 kommt Nicolai in die Schule. Dann wird es wegen der Schulpflicht mit dem langen Reisen schwieriger. Wenn uns das zu eng wird, können wir immer noch auswandern oder für ein Jahr ins Ausland gehen. Dann könnte ich Nicolai zu Hause oder unterwegs selbst unterrichten. Zum ersten Mal seit meiner eigenen Schulzeit schreibt mir nun nach über 20 Jahren ein „System“ vor, wann ich wie lange unterwegs sein kann, damit tue ich mich ehrlich gesagt schon schwer. Aber ich werde es erstmal auf mich zukommen lassen.
Empfinden Sie es als schwierig, alleine mit Kind diese Lebensweise aufrechtzuerhalten?
Nein, denn mich zwingt ja keiner dazu. Wenn ich merke, dass diese Lebensweise für mich oder mein Kind nicht mehr funktioniert, dann würde ich sofort etwas ändern.
Alle Kinder brauchen eine Art von Alltag und Struktur, um sich zu orientieren und zurecht zu finden. Die gibt es auch auf unseren Reisen – nur eben nicht ganz in der gewohnten Form: Wir schlafen in einem Zimmer oder Bett, wachen und stehen gemeinsam auf, nehmen alle Mahlzeiten zusammen ein und gestalten den Tag. Diese Routine ist immer gleich, nur die Umgebung und das Tagesprogramm variieren. „Zusammensein“ und „Gemeinsam“ sind das Rückgrat jeder Reise. Und das steht, solange mein Kind das braucht und wünscht. Darauf kann sich mein Sohn 100 % verlassen.
Natürlich habe ich als Mutter die Verantwortung. Zum Glück sind mir größere Katastrophen bisher erspart geblieben. Ich musste noch keine Entscheidung bereuen. Was die Sicherheit angeht, habe ich das Gefühl, allein mit Kind eher unter dem Schutz der Leute zu stehen, als ein leichtes Opfer für Verbrechen zu sein. Ich habe mich mit meinem Sohn noch nie bedroht gefühlt.
Wie sieht es im Krankheitsfall mit medizinischer Versorgung aus? Haben Sie diesbezüglich manchmal Bedenken oder Ängste?
Meine größte Sorge war tatsächlich, dass Nicolai unterwegs schwer krank werden könnte. Aber wir hatten bisher großes Glück. In fünf Jahren hat er sich erst drei Mal erbrochen. Einzig in Myanmar hatte er einmal länger Durchfall. Auch ich bin gesund, obwohl ich unterwegs fast alles esse, auch an Ständen am Straßenrand. Da Mücken ihn absolut lieben, hat er in Namibia eine Malariaprophylaxe genommen, das war mir dann doch sicherer.
Welche Vorteile ziehen Sie daraus ein Nomadenleben zu führen?
Es ist ja nur ein „Semi-Nomadenleben“! Ich habe das Gefühl, das Beste von beiden Welten zu haben: Wir haben eine schöne Wohnung, in der wir uns wohlfühlen und ein gutes soziales Netzwerk. Nicolai geht in einen tollen Kindergarten, der uns schätzt und unterstützt. Dadurch, dass ich all meine Lehrtätigkeiten ins Internet verlagert habe, kann ich von überall aus arbeiten: von Zuhause oder eben unterwegs. Wie jetzt gerade: dieses Interview kommt aus meinem Bus in Gibraltar!
Welche Schwierigkeiten begegnen Ihnen auf dem Weg?
Klar, es ist anstrengend, so viel unterwegs zu sein, zu planen, zu packen, Reisen vorzubereiten, tausende Fotos zu bearbeiten und in Fotobüchern zusammenzustellen, sich um meine Webseite, stabiles Internet, Kundenbetreuung und Akquise und meinen Unterricht zu kümmern, ein Kind jeden Tag rund um die Uhr um sich zu haben, alle Entscheidungen allein treffen zu müssen und für alles die Verantwortung zu tragen. Wenn du bei brütender Hitze müde, hungrig, zerstochen und verschwitzt in einem völlig überfüllten Zug durch ein Land zuckelst, fragst du dich schon mal, warum du dir das antust. Aber das Wissen und die Erfahrung, dass die schlechten Momente auch schnell wieder vorbeigehen, haben mich immer durchhalten lassen.
Wie lässt sich das Leben auf diese Weise finanzieren?
Ich bin seit 20 Jahren Fremdsprachenlehrerin für Deutsch und Englisch. Inzwischen habe ich mich fast ausschließlich aufs Online-Unterrichten via Skype spezialisiert: https://ninabuschmann.com/de/effektive-online-kurse-via-skype. Meine Kunden finden mich über meine Webseite oder über Empfehlungen. In Ländern, in denen ich nur unzuverlässiges Internet habe oder einen zu großen Zeitunterschied, mache ich Urlaub. Wenn wir längere Zeit unterwegs sind, nutze ich entweder einen Europatarif und meinen eigenen kleinen Router, WLAN oder Prepaidkarten mit Datenguthaben. Dank Internet können mich meine Kunden überall mit hinnehmen und umgekehrt.
Gelegentlich schreibe ich auch Artikel, vermarkte Fotos oder lese Korrektur. Unsere letzte Reise mit unserem Bus durchs Baltikum und nach Südosteuropa hat mich etwa 1000 Euro gekostet. Ungefähr genau so viel habe ich in der Zeit mit Online-Sprachunterricht verdient.
Was würden Sie gerne anderen Frauen mit auf den Weg geben, die sich ebenfalls nach einer ähnlichen Lebensweise sehnen?
Der Schriftsteller Paulo Coelho hat das sehr gut auf den Punkt gebracht: „Wenn du denkst, Abenteuer seien gefährlich, versuche es mal mit Routine. Die ist tödlich.“
Einfach machen! Wenn man selbst gerne reist, gibt es für mich fast keinen Grund, es mit Kind nicht auch zu probieren. Auch in stressigen Situationen können Kinder lernen, dass auch Erwachsene nicht alles vorher wissen, und vieles nicht planbar ist, aber, dass sich für die meisten Probleme spontan Lösungen finden lassen und dass Glück und die richtigen Begegnungen dazugehören.
Ich denke, dass in unserer heutigen Zeit, in der Abschottung und Angst gegenüber dem Fremden zunehmen, diese Erfahrungen und Offenheit mit zu den wichtigsten Qualitäten eines (jungen) Menschen gehören.
Wir danken Ihnen für Ihre Zeit und wünschen Ihnen und Ihrem Kind weiterhin alles Gute für die Zukunft!
Nina Buschmann hat zwei Bücher über sich und ihre Reisen geschrieben:
„Wo bitte geht’s hier um die Welt? Acht Jahre Abenteuer und Reisen einer Fremdsprachenlehrerin“
erschienen als Taschenbuch bei 1-2-Buch, 2011, deutsch, 326 Seiten
Taschenbuch ISBN 978-3-942594-03-5
ASIN: B004ZHE3B6
Ebenfalls erhältlich als Ebook mit Fotos
„Zwischen Bikini und Abaya – 3 Jahre im Oman, Erlebnisse einer jungen Europäerin“
erschienen als Ebook November 2015, deutsch, 133 Seiten
ASIN: B018RK2OTY
Toller Artikel, liebe Nina. Herzliche Grüße aus Bamberg von Ilona & Günter 🙂