Mein Kind hat Schmerzen, wann muss ich zum Kinderorthopäden?
(Teil 1)
Bis zum Wachstumsabschluss nach der Pubertät macht der Körper jede Menge Veränderungen durch, die perfekt aufeinander abgestimmt werden müssen. Hin und wieder kann es dabei zu kleineren und größeren Schwierigkeiten kommen. Ob erworbene oder genetisch bedingte Fehlstellungen oder Auffälligkeiten: Eine frühzeitige konservative Therapie kann Schmerzen und eine Operation in späteren Jahren manchmal verhindern, denn nicht alles „verwächst“ sich. Neben Funktionsstörungen, die der Körper ausbildet, können auch Unfälle – beispielsweise beim Sport – oder mangelnde Bewegung Ursachen für Schmerzen sein. Klagt Ihr Kind immer wieder über Schmerzen oder bildet chronische Fehlhaltungen aus, ist ein Besuch beim Kinderorthopäden anzuraten, um die Ursachen und mögliche Therapien frühzeitig abklären zu können.
Prof. Dr. med. Sandra Utzschneider ist eine renommierte Fachärztin für Orthopädie und Expertin für Kinderorthopädie. Am Klinikum Großhadern leitete sie den Schwerpunkt Kinderorthopädie und wechselte 2016 zum OrthoCenter München Prof. Lill. Im ersten Teil dieses Artikels wird Prof. Utzschneider auf häufige Erkrankungen und Therapiemöglichkeiten im Bereich des Rückens und der Hüfte eingehen.
Was tun bei diffusen Kreuzschmerzen?
Hier muss klar zwischen Verspannungen und anderen Erkrankungen unterschieden werden. Sitzt Ihr Kind lang in der Schule, an den Hausaufgaben und anschließend vor dem Computer oder Fernseher, kommt die Bewegung zu kurz und die Rückenmuskulatur verkümmert. Doch gerade diese Muskulatur ist für eine aufrechte Haltung und als Stütze für die Wirbelsäule wichtig. Deshalb ist ausreichende Bewegung essenziell für einen gesunden Rücken. Klagt Ihr Kind über Nackenschmerzen, entstehen diese meist durch Stress und falsche Haltung. In der Regel ist hier kein Besuch beim Orthopäden notwendig, da mit Wärme, Bewegung und Muskelaufbau durch Sport den leichten Verspannungen meist gut beizukommen ist.
Bestehen die Schmerzen über längere Zeit hinweg und sind hauptsächlich in der Lendenwirbelsäule lokalisiert, sollte jedoch ein Kinderorthopäde konsultiert werden, da hier ein Defekt des Wirbelbogens oder ein so genanntes Wirbelgleiten vorliegen kann, das dann gezielt mit Physiotherapie und teilweise auch mit Ruhigstellung in dafür speziell gefertigten Miedern therapiert werden muss und vom Spezialisten betreut werden sollte.
Sichtbare Formveränderungen des Rückens
Oftmals gehen Erkrankungen der Wirbelsäule mit einer Formveränderung, jedoch lange Zeit ohne Schmerzen einher. Hier ist ein wenig Beobachtungsgabe gefragt, denn je früher der Verformung des Rückens entgegengewirkt wird, umso besser ist die Gesamtprognose, Spätschäden und Beschwerden im Erwachsenenalter können so umgangen werden. Eine Erkrankung, die Eltern meist recht schnell auffällt, ist der Schiefhals, durch den der Kopf in eine Richtung gebeugt ist und kaum zur anderen Seite gedreht werden kann. Ein Schiefhals kann angeboren sein durch eine Fehllagerung in der Gebärmutter oder durch ein Trauma während der Geburt entstehen. Physiotherapie oder eine Durchtrennung des vernarbten Muskelstranges können dabei helfen, eine aufrechte Kopfhaltung zu erreichen.
Eine Wirbelsäulenverkrümmung (Rundrücken oder eine Seitverbiegung, Skoliose genannt) ist zunächst meist an der Verformung erkennbar und entsteht in der Regel während der Kindheit oder Jugend. Ihr kann mittels Physiotherapie und ggf. dem Tragen eines Korsetts entgegengewirkt werden. Hingegen können Haltungsschwächen zunächst in regelmäßigen Abständen durch einen erfahrenen Kinderorthopäden kontrolliert werden, da diese sich mit wachsender Begeisterung vieler Jugendlicher für Sport oftmals von selbst erledigen.
Mein Kind hinkt seit geraumer Zeit
Erkrankungen in der Hüfte werden von Kindern in vielen Fällen eher als Schmerz im Oberschenkel oder im Knie wahrgenommen, wie etwa bei einer Durchblutungsstörung des Hüftknochens was die Diagnose oftmals nicht leicht macht.
Davon abzugrenzen sind Schmerzen nach einer Verletzung. Denn dass das Knie oder die Hüfte nach einem Sturz vom Rad oder bei einem engagierten Fußballspiel in Mitleidenschaft gezogen wird und infolge dessen einige Zeit zum Heilen braucht, ist eigentlich selbstverständlich. Natürlich ist auch hier bei länger anhaltenden Schmerzen ein Besuch beim Kinderorthopäden nicht verkehrt.
Für viele behandlungsdürftige Erkrankungen der Hüfte sind Hinken über einen längeren Zeitraum und Schmerzen im Knie ein wichtiges Indiz, bei dem Sie mit Ihrem Kind beim Orthopäden vorstellig werden sollten. So kann und muss bei einem jugendlichen Hüftkopfabrutsch schnell gehandelt werden und in einer Notfall-Operation die abgerutschte Hüftkopfkappe wieder fixiert werden. Eine völlig andere Situation stellt eine Fehlstellung des Schenkelhalses dar, die besonders durch den einwärts gedrehten Gang auffällt und sich in vielen Fällen über die Jahre bis zur Pubertät von selbst bessert.
Eine angepasste Therapieform finden
In den seltensten Fällen ist sofort eine Operation von Nöten, denn viele Schmerzen entstehen durch Fehlbelastungen und Schonhaltungen. So können oft konservative Therapien eine wesentliche Verbesserung erwirken und gleichzeitig vor chronischen Beschwerden schützen. Eine gründliche Diagnose ist wichtig, um von dem Ort, an dem die Schmerzen vom Kind lokalisiert werden zur Quelle der Probleme vorzustoßen.
Für den richtigen Zeitpunkt eines Besuchs beim Kinderorthopäden gibt es leider keine goldene Regel, aber wenn Schmerzen wiederholt auftreten, über längeren Zeitraum bestehen oder aus dem Nichts zu kommen scheinen, sollten Sie aufmerksam werden. Hinzu kommt, dass manche Kinder anfängliche Schmerzen ganz gut wegstecken, während andere Kinder Missempfindungen recht schnell kundtun. Hier ist Ihre Beobachtungsgabe als Elternteil gefragt, denn niemand kann Ihr Kind besser einschätzen als Sie selbst.
Im zweiten Teil dieses Artikels wird es um Schmerzen und Probleme der Beine und Füße gehen.
Kommentieren